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Wie ein verdorrter Grashalm im Sturm
Starke Charakterporträts: Alexander Tull inszeniert Simon Stephens’ „Harper Regan“ am Landestheater Tübingen
Tübingen - Harper Regans Traum, einmal im Leben eine coole Lederjacke zu tragen, geht in einer schummrigen Kneipe in Erfüllung. Aber gleichzeitig gerät das Leben der starken Frau am Rande der Midlife-Crisis aus den Fugen. Der Berliner Regisseur Alexander Tull hat Simon Stephens 2008 in London uraufgeführtes Drama, das ein scheinbar gewöhnliches Frauenschicksal zeigt, im großen Saal des Landestheaters Tübingen (LTT) in Szene gesetzt. Mit einem starken Ensemble, das sich in Stephens’ erdige Charaktere trefflich einfühlt, gelingt ihm eine ebenso schlichte wie überzeugende Regiearbeit.
Der englische Autor, der in Stockport bei Manchester geboren und aufgewachsen ist, steht für ein gesellschaftlich engagiertes Theater, das auch die dunklen Seiten seiner Figuren zu Tage fördert. Diese Balance schaffen Tull und seine Schauspieler. Ina Fritsche als Harper, die am LTT in früheren Produktionen gerade in grob gezeichneten Frauenrollen zu Höchstform auflief, zeigt hier eine mutige Frau, die am grauen Alltag zerbricht. Sie offenbart die große Tiefe, die in Stephens’ Figuren steckt.
Harpers Mann (Markus Maria Eschenbach) hat seinen Job als Architekt verloren, weil man ihn der Kinderpornographie verdächtigte. Er schoss angeblich einschlägige Fotos im Park. Ob er schuldig ist oder nicht, lässt der Autor offen. Wie ein verdorrter Grashalm im Sturm bewegt sich dieser Mann durchs Leben. Kraft oder einen eigenen Antrieb hat er längst nicht mehr. Fritsche und ihrem eher zurückhaltenden Schauspielkollegen gelingen schöne Momente, wenn sie ihrer verlorenen Liebe nachdämmern. Ihre Dialoge, die mitten im Satz ersterben, haben etwas Anrührendes.
Wütend und wild knallt Harpers Tochter Sarah, eine Paraderolle für Nadia Migdal, in das Leben ihrer Eltern, die aus ihrer Sicht die Familie zerstören. Die Schülerin flüchtet sich in Gruftie-Träume; Marion Eiselés bizarre Kostüme spiegeln ihr dunkles Seelenleben wider. Im schlichten Bühnenbild von Vesna Hiltmann, das mit einer tristen Betonunterführung Ausweglosigkeit darstellt, schreit dieses Mädchen nach dem Aufbruch.
Den schafft ihre Mutter Harper, als sie wegen des nahenden Todes ihres Vaters den Job aufgibt. Ihr gnadenloser Boss, von Karlheinz Schmitt eine Spur zu ironisch gezeichnet, will ihr kündigen, falls sie ans Sterbebett des Vaters fahren sollte. Da bricht Harper aus und flieht - weit kommt sie damit aber nicht. Bei ihrer Mutter, die Hildegard Maier beklemmend gefühllos und kalt interpretiert, findet sie ebenso wenig einen Halt wie bei einer flüchtigen Affäre auf dem staubigen Boden eines Hotelzimmers. Den leidenschaftlichen Mann dazu verkörpert sinnigerweise ebenfalls Markus Maria Eschenbach, der als Ehemann im Alltagstrott versinkt.
Tull und seinem Ensemble gelingt es, gebrochene Menschen zu zeichnen, ohne dabei zu sehr in die Interpretation abzugleiten. Allen voran zeigt Ina Fritsche, die in der Titelrolle ihr großes Potenzial für Charakterdarstellung entfalten kann, wie der Alltag Menschen zerstören kann. Ihre Träume versickern in dieser klaren, schnörkellosen Regiearbeit in den Ritzen der Betonmauer, deren Kälte den Bühnenraum dominiert.
Elisabeth Maier, Esslinger Zeitung, 13. März 2010